Der Aufschlag

Beitrag von Dennis Johann

Technik | Taktik | Training

Nicht allzu viele Sportarten werden von der Reaktionszeit der Akteure dergestalt geprägt, wie dies beim Tischtennis der Fall ist. Es geht hier nicht um Sekunden, sondern beim Tischtennis als „schnellster Rückschlagsport der Welt“ wird mit Millisekunden gerechnet.
Dieses Novum ist sicherlich den Allermeisten von uns bekannt und so bleiben uns oftmals nur winzige Bruchteile von Sekunden, um zu reagieren. D.h., eigentlich muss schon zum Zeitpunkt des gegnerischen Schlages geistig antizipiert werden, wohin der nächste eigene Ball gespielt werden könte, immer in Abhängigkeit des gegnerischen Aufschlages.
»Umso entscheidender ist somit der Aufschlag, da dies in der Tat der einzige Schlag ist, der vom Gegner nicht direkt beeinflusst werden kann.«

Indirekt kann der Gegner durch seine individuellen Stärken und Schwächen die Palette an taktisch sinnvollen Aufschlägen einschränken. Weiterhin kann der Aufschlag auch annähernd fern von jeglichem Zeitdruck ausgeführt werden. Der Spieleröffnung bei eigenem Aufschlag kommt also ein wesentliches Gewicht unserer Sportart zu.

Regeln
Im Regelwerk existieren klare und auch leicht verständliche Vorgaben, welche letztlich aus leidlichen Erfahrungen vergangener Jahre resultieren: Der Ball muss aus der flachen Hand mindestens 16,5 cm hochgeworfen werden. Dadurch wird sichergestellt, dass keine Rotation im angeworfenen Ball ist. Die Flugkurve des Balles sollte möglichst gerade sein und der Ball muss hinter der Grundlinie gespielt werden. Außerdem darf sich im imaginären Dreieck zwischen den beiden Netzpfosten und Schläger während des Balltreffpunkts kein Körperteil befinden. Somit ist gewährleistet, dass der Aufschläger den Aufschlag nicht „verdecken“ kann.
Grundsätze für erfolgreiche Aufschläge
Das eigene Aufschlagspiel sollte möglichst variabel sein. Zum einen hat der Gegner hierdurch weitaus weniger Chancen, sich während eines Spiels auf meine Aufschläge einzustellen und zum anderen benötige ich auch ein gewisses Repertoire an unterschiedlichen Varianten, da in aller Regel jeder Gegner mit anderen Varianten Probleme hat.
Beim eigenen Aufschlag lassen sich folgende Punkte variieren:
Platzierung Aufschläge können kurz, halblang oder lang gespielt werden. Das ganze dann in die Rückhand (RH), Vorhand (VH) oder auf den Wechselpunkt des Gegners. Gerade eine Platzierung in RH und VH sollte möglichst extrem nach außen Richtung Tischkante gespielt werden,  um ein direktes „in den gegnerischen Schläger spielen“ zu vermeiden.
Rotation Aufschläge können mit Überschnitt (ÜS), Seitschnitt (SS), Unterschnitt (US) oder ohne Schnitt (OS) gespielt werden. Natürlich sind auch Kombinationen aus zwei Rotationsarten möglich, wie z.B. Seit-Überschnitt (SÜS).
Tempo Hier gehe ich als Aufschläger gezwungenermaßen immer den sog. „Tempo-Rotations-Kompromiss“ ein. Je schneller ich meinen Aufschlag spiele, desto weniger Schnitt kann ich mit diesem Ball erzeugen. Dieser Kompromiss gilt für die Annahme, dass die Schlägerbewegung konstant ist. In diesem Fall kann ich mich „physikalisch“ entscheiden, ob ich mit dem Schlagimpuls mehr durch das Zentrum des Balles gehe (mehr Tempo) oder ob ich den Ball eher tangential treffe (mehr Rotation). Allerdings kann ich beide Parameter im Niveau anheben, wenn ich die Schlägerbewegung erhöhe. Dann gehe ich allerdings einen anderen Kompromiss ein: „Je schneller die Schlägerbewegung, umso schwieriger ist es, die beabsichtigte Kontrolle und Platzierung einzuhalten.“
Ballanwurf Durch die Höhe meines Ballanwurfes kann ich einen ansonsten „gleichen“ Aufschlag bewusst variieren. Mindestens 16,5 cm hoch und nach oben keine Grenze! Somit kann ich mit einer identischen Aufschlagbewegung unterschiedlich viel Rotation erzeugen. Umso höher ich meinen Ball anwerfe, desto höher ist aufgrund der bekannten „Gesetze der Schwerkraft“ dessen Fallgeschwindigkeit, wenn er auf das Schlägerblatt trifft. Hierdurch ist es physikalisch recht einfach möglich, auch eine erhöhte Rotation zu erzeugen, was aber technisch anspruchsvoll ist – vor allem, wenn der Aufschlag kurz sein soll.
Balltreffpunkt auf dem Schläger Durch verschiedene Balltreffpunkte auf dem Schläger habe ich ebenfalls die Möglichkeit, mit ein und derselben Bewegung Aufschläge mit unterschiedlich starker Rotation zu spielen. Dies gilt vor allem für kreisförmige Bewegungen, die in den Aufschlagtechniken häufig vorkommen. Im äußeren Drittel des Schlägerblattes ist die höchste Schlägergeschwindigkeit zu erzielen und somit erzeuge ich dort auch am meisten Effet. Im unteren Drittel des Schlägerblattes ist die Geschwindigkeit entsprechend geringer, so dass ich hier bei identischer Aufschlagbewegung bedeutend weniger Rotation erzeuge. Durch Ausnutzung dieser Varianten – welche allerdings ein konsequentes Training erfordern – besteht durchaus eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die Rotation des Aufschlags vom Gegner unter-  oder auch überschätzt wird, was dann einen nicht perfekten Rückschlag oder sogar den direkten Fehler und damit einen Punktgewinn bedeutet.
Durch die bereits im Jahre 2001 vollzogene Regeländerung zum Aufschlag (Tenor: Aufschläge dürfen nicht mehr „verdeckt“ werden) hat sich auch das Aufschlagspiel stark verändert. Seither wird es wesentlich erschwert, eine Rotation des Aufschlags zu verschleiern und somit den Gegner zum direkten Fehler bzw. zu einem schlechten Rückschlag zu zwingen.
Umso entscheidender im modernen Tischtennis sind daher die seitliche Platzierung und die Länge des Aufschlags.
»Hier geht es gar nicht mehr zwingend um einen direkten Punktgewinn, sondern vielmehr darum, den ersten eigenen Schlag nach dem Aufschlag optimal vorzubereiten.«
…wenngleich ein direkter Punktgewinn natürlich immer noch ein Idealfall ist…
In den meisten Fällen wird dies der VH-Topspin bzw. der VH-Gegentopspin sein. Deshalb ist es in der Tat so enorm wichtig, sich seine Taktik für die ersten zwei oder auch drei Ballkontakte bereits vor dem Aufschlag zu manifestieren.
»Je nach gewähltem Aufschlag sind gewisse Rückschläge am wahrscheinlichsten. Und diese wahrscheinlichen Rückschläge sollen mir natürlich nicht unbekannt sein!«

Grundsätzlich lässt sich also festhalten, dass ich mit meinem Aufschlag versuchen muss, die Rückschlagmöglichkeiten meines Gegners möglichst gering zu halten, bzw. so zu steuern, dass dieser Rückschläge spielt, die in mein Spielsystem reinpassen. Dies sollte ich mir idealerweise vor jedem Ballwechsel ganz bewusst machen, um in der Tat bestmöglich auf den (wahrscheinlichen) Return vorbereitet zu sein. Natürlich darf ich mich nicht blind auf meine „Berechnungen“ verlassen, dafür sind in aller Regel meine Gegner auch zu clever. Dennoch macht es unbedingt Sinn, die wahrscheinlichsten Rückschläge im Hinterkopf zu haben.

Tendenz im modernen TT: halblang
Die Gedankengänge bei der Auslotung der zu wählenden Aufschlagvariante haben zur Folge, dass im modernen Tischtennis häufig  „halblang“ aufgeschlagen wird. Dies bedeutet, dass der zweite Ballkontakt auf der gegnerischen Plattenhälfte möglichst dicht zur Grundlinie platziert  ist. Dadurch wird der Gegner in seinen Rückschlagmöglichkeiten stark eingegrenzt.
»Zunächst wird der Rückschläger bei einem halblangen Aufschlag „kognitiv unter Druck gesetzt“!«
Fällt der Ball über die Grundlinie? Kann ich Topspin spielen? Muss ich eine Schlagtechnik über dem Tisch einsetzen…? All diese Gedankengänge bedeuten Zeitverlust und verhindern häufig zielstrebig durchgeführte Schlagtechniken. Weiterhin „stört“ die Tischkante im Verlauf der Schlagbewegung und reduziert auch die Aggressivität der Schlages.
Entscheidet mein Gegenüber sich für einen Topspin, dann muss er diesen meist mit wenig Tempo und viel „Bogen“ spielen, da der Ball zur Zeit des Balltreffpunkts schon in recht niedriger Höhe ankommt. Ebenso ist ein aggressiver Schupfball wesentlich schwieriger auf einen „halblangen“ Ball zu spielen, als auf einen kurzen Aufschlag (bei dem ich auch viel größere seitliche Winkel spielen könnte).

Auch das „kurz zurücklegen“ ist auf einen halblangen Aufschlag anspruchsvoller als auf kurze Aufschläge. Hier gerät der Ball dann gerne zu lang oder er wird zu hoch returniert.  Versucht der Gegner den Aufschlag über dem Tisch zu beantworten, so ist es für ihn schwer, einen druckvollen Ball zu spielen. Auf seiner Rückhandseite hat er zumindest die Chance, mit einer „RH-Banane“ zu antworten. Und auf diese habe ich mich auch eingestellt.

Praxistipps:
Als Rechtshänder kann dann auch eine gewählte Taktik sein, mit 2. Phase (Gegenläufer, Tomahawk, RH-Seitschnitt) halblang Richtung VH-Seite des Gegners aufzuschlagen. Hier ist dann zumindest in den meisten Fällen mit einem diagonalen Rückschlag (Topspin oder langer Schupf) zu rechnen. Dieser wird dann im Optimalfall mit einem VH-Topspin oder Gegentopspin beantwortet.
Diese Taktik kann ich natürlich auch bei kurzen Aufschlägen in die VH-Seite spielen. Durch die seitliche Rotation des Balles (2.Phase) ist in den meisten Fällen mit einem Rückschlag in die VH-Seite zu rechnen.
Eine weitere Variante kann sein, kurze Aufschläge mit seitlicher Rotation (erste Phase) in die RH-Seite meines Gegners zu spielen. Wenn mit SÜS aufgeschlagen wird, lassen sich zumeist kurze Rückschläge ausschließen. Somit ist dann mit einem langen Rückschlag (Flip, Banane) Richtung eigener RH-Seite zu rechnen. Schlage ich mit SUS auf, dann kommt hingegen auch noch der kurze Rückschlag bzw. der Schupfball (meist auch eher Richtung RH) in Frage.

Außerdem können schnelle und lange Aufschläge auf den Wechselpunkt oder die Ecken zum erzielten Erfolg führen. Hierbei ist es jedoch besonders wichtig, dass der Gegner nicht bereits beim Ballanwurf oder an meiner Ausholbewegung erkennt, welcher Aufschlag gespielt wird. Ein gewisser „Über-raschungseffekt“ ist immer gut. Grundsätzlich ist jetzt auch mit einem langen Rückschlag zu rechnen. Wenn ich nach außen bzw. auf die Ecken aufschlage, ist bei den meisten Spielern ein diagonaler Rückschlag die am häufigsten gewählte Rückschlag-Variante.

Techniktraining Aufschlag:
Eine interessante Trainingsform, um eine neutrale und für den Gegner nicht antizipierbare „Starttechnik des Aufschlages“ zu trainieren, ist folgende: Der Übende beginnt wie gewohnt mit seinem Aufschlag. Ein Partner ruft kurz vor dem Treffpunkt „1“ oder „2“. Die „1“ bedeutet beispielsweise, dass der Spieler einen kurzen Unterschnittaufschlag macht, „2“ bedeutet langer Aufschlag in Rückhand. Wenn der Aufschläger vorher selber nicht weiß, welchen Aufschlag er macht, muss er neutral in diese Bewegung starten (und der Gegner wird es erst recht nicht erkennen können).
Fazit
Jeder Spieler sollte sich über die Wichtigkeit eines guten eigenen Aufschlages im Klaren sein und seinen Trainingsaufwand hieran bemessen. So muss letztlich jeder Akteur für sein eigenes Spiel die optimalen Aufschlagtaktiken finden, was durchaus ein mühevoller Prozess sein kann.
Die vorab vorgestellten „taktischen Spielchen“ können unter Berücksichtigung der eigenen technischen und damit spielerischen Möglichkeiten eine wichtige Hilfestellung für meine gewählte Spieleröffnung darstellen.
»Nach alledem ist es im leist–ungsbezogenen Training auch enorm wichtig, keinefalls die eigenen Aufschläge isoliert zu betrachten und zu trainieren, sondern immer eine Kombina-tion „mit Rückschlag und erstem Ball“ durchzuspielen!«

Nur so verinnerliche ich mir die folgenden Spielzüge optimal und kann meine Trainingserfahrungen dann optimalerweise hoffentlich auch im Wettkampf nutzen. Spätestens dann erkenne ich, dass sich der recht mühsame und sicherlich regelmäßig langatmige Aufwand auch gelohnt hat.

Der Autor
Dennis Johann
– A-Lizenz Trainer
– Assistenztrainer
im TTV Rheinland
– Vereinstrainer
beim TTC Mülheim-
Urmitz/
Bhf.

Hintergundwissen Rotation bei Aufschlägen:
Für die Einschätzung, auf welche Aufschläge die Rückschläge leichter oder schwieriger zu realisieren sind, ist es äußerst hilfreich, einige Zusammenhänge zu kennen:
1] Rotationsumkehr bewirkt einen aggressiven Ballabsprung am Schläger!
Wenn die Rotation des Balles durch eine Schlagbewegung umgekehrt wird, dann ist die Folge davon, dass sich der Ball in das Gummi des Belages kurz „eingräbt“ und dann herauskatapultiert wird. Ein Beispiel dafür ist, wenn ein rotationsreicher Unterschnittaufschlag vom Rückschläger mit einem rotationsreichen Schupf returniert wird. Die ankommende Rotation wird umgedreht und der Ball wird herauskatapultiert. In so einer Situation ist es schwer möglich, einen langsamen Ball zu spielen (wie es zB. bei einem kurzen Rückschlag nötig wäre). Eine analoge Konstellation ist es (bei Rechtshändern) wenn der Aufschlag in der 2. Phase (das heißt in der Phase, wo der Schläger vom Körper nach außen geführt wird – siehe Bild Blaszczyk) getroffen wird und der Rückschläger einen Rückhand-Bananenflip spielt. Auch hier wird der Rückschlag eher tempoorientiert werden. Dies gilt es bei der „Vorausplanung“ des Ballwechsels zu berücksichtigen.
2] Platzierung der Aufschläge mit seitlicher Rotation!
Aufgrund der Anatomie des Armes / des Handgelenks gibt es für Aufschläge mit seitlicher Rotation eine für den Rückschläger angenehme Seite und eine eher unangenehmer Seite. Aufschläge, die in der 1. Phase getroffen werden (Rechtshänder) und in die Vorhandseite des Rückschlägers (auch Rechtshänder) platziert werden, passen zur Anatomie des Arms. Um die angekommende Rotation zu neutralisieren, reicht es aus, die Schlägerspitze nach vorne zu schieben. Wenn dieser Aufschlag in die Rückhandseite platziert wird, dann muss der Rückschläger die Schlägerspitze (aus anatomischer Sicht unnatürlich) nach hinten bringen, um die Rotation auszugleichen. Dies ist technisch schwieriger. Genau andersherum verhält es sich logischerweise, wenn der Aufschläger in der 2. Phase aufschägt, oder wenn der Aufschläger Linkshänder ist.
Dies sind aber nur grundsätzliche Hinweise. Zu berücksichtigen sind selbstverständlich immer individuelle Stärken und Schwächen – vom eigenen Aufschlag aber auch vom Rückschläger.
Stefan Zimmermann