Rückschlagvariationen

Beitrag von Andreas Greb

 

„Learning by doing and probiering“. Oft hinterlässt Mut zur Variabilität über dem Tisch einen bleibenden Eindruck beim Gegner.

German Open 2010. Ein Raunen geht durch das fachkundige Berliner Publikum. Dimitrij Ovtcharov hat soeben seinen zweiten Matchball in schier unfassbarer Art und Weise abgewehrt. Nicht gegen einen Franzosen oder Belgier, nein gegen den Weltklassespieler Xu Xin aus China. Ein Zuschauer auf der Tribüne spricht gar von „Handgelenksbruch“ bei eigener Ausführung.

Neue Tendenzen beim Rückschlag
Die sogenannte Rückhandbanane mit der Ovtcharov den Punkt gemacht hat, ist heute eine unverzichtbare Waffe auf die Weltklassespieler wie „Dima“ immer wieder setzen. Der Schlag findet seine Ursprünge in den Endneunzigern wo der Tscheche Petr Korbel zu den Pionieren dieser Schlagart gehörte. In dieser Zeit nahm der Rückschlag aber lang nicht eine so hohe Bedeutung ein wie knapp 15 Jahre später. Heute gehören Rückschlagvarianten mit seitlicher Rotation in die Werkzeugkiste eines jeden Tischtennisprofis. Auffällig ist, dass gerade in kurzer Vorhand wo jeder TT-Spieler seine Probleme hat, diese Rückschlagtechnik häufig gespielt wird. Daher ist es auch nicht verwunderlich dass diese Art Rückschläge häufig im Doppel zu sehen ist, wo die Platzierung des Aufschlags eingegrenzt ist.
Der Flip, ob mit oder ohne seitlicher Rotation, ersetzt heutzutage einen gewöhnlichen Eröffnungstopspin und ist somit nahezu unverzichtbar im modernen Tischtennissport.
Die Bedeutung des Rückschlages
Ein Ballwechsel auf Weltklasseniveau dauert im Schnitt gerade einmal 4 Kontakte. Dies verdeutlicht, dass der Auf-  und der Rückschlag eine übergeordnete Rolle einnehmen. Die Wichtigkeit von Auf- und Rückschlag steigert sich entsprechend zum Spielniveau.
Doch auch im Breitensport Tischtennis können diese Schlagtechniken durchaus erlernt und später im Spiel abgerufen werden. Für die meisten Tischtennisspieler machen doch gerade die teils unglaublichen Flugkurven und enormen Rotationen den Reiz dieses Spiels aus.
Im Nachfolgenden werden zwei dieser Rückschlagvariationen vorgestellt, die aus der Sicht eines Rechtshänders zu sehen sind.
Rückhand-Banane
Der im Moment wohl populärste Rückschlag ist die sogenannte Rückhand-Banane. Dieser Schlag resultiert aus dem Rückhand-Flip und ist in der Regel ein aggressiver Flip, da er mit viel Spin und Tempo gespielt wird.
…über die Technik
«1A» Zunächst wird die Ausgangstellung eingenommen, wobei die Füße parallel zum Netz stehen, die Knie leicht gebeugt sind und der Oberkörper eine leichte Vorlage hat.

«1B» In der Ausholphase wird der rechte Fuß unter den Tisch bewegt, wodurch sich der Körperschwerpunkt nach vorne verlagert.

 «1C»Der Schlagarm wird angewinkelt und das Schlägerblatt wird je nach Rotation des ankommenden Balles eingestellt. Beim Bananen-Flip werden Schlagarm und Handgelenk extremer angewinkelt/vorgespannt als bei einem gewöhnlichen Rückhand-Flip.

«1D» Die Rückhand-Banane erfordert eine explosive Bewegung von Unterarm und Handgelenk. Abhängig von der Rotation des ankommenden Balles ist die Bewegungsrichtung bei Unterschnittbällen stärker nach oben, bei Überschnittbällen stärker nach vorne gerichtet. Vergleicht man die Treffpunkte von einem Spin-Flip und einem Bananen-Flip an einer Erdkugel, so wird der Ball nicht wie bei einem Spin-Flip am Nordpol, sondern im Nord-Westen getroffen. Nach Ausführung des Flips sollte wieder so schnell wie möglich die Ausgangsstellung eingenommen werden.

…über die Taktik
Der Bananen-Flip ermöglicht einem Spieler, auf einen kurzen Aufschlag oder einen kurz gelegten Ball die Initiative zu übernehmen und ins Angriffsspiel zu wechseln. Mit seiner gekrümmten Flugkurve und Platzierung z. B. auf den Ellbogen kann schon mit dem ersten Ball der Gegner unter Druck gesetzt werden und in eine schlechte Stellung zum Ball gebracht werden. Topspieler wie Petr Korbel, Dimitrij Ovtcharov, Adrien Mattenet aber vor allem die Chinesen Zhang Jike, Wang Hao und Ma Long haben den Bananen-Flip durch konsequentes Training perfektioniert und spielen diesen Schlag aus nahezu allen Positionen des Tisches.
…über die Varianten
Alternativ hierzu  ist die Rückhand-Banane mit Unterschnitt zu nennen. Dieser Schlag ist eine weitere Alternative um auf einen Unterschnitt-Aufschlag (oder kurz gelegten Ball) zu reagieren. Die Ausgangsstellung ist dieselbe wie bei der vorher beschriebenen Schlagtechnik. In der Ausholphase wird ebenfalls der rechte Fuß nach vorne bewegt und der Körperschwerpunkt nach vorne verlagert. «2B»

Der Schlagarm wird bei diesem Schlag allerdings nur leicht gebeugt.

«2C» Das Handgelenk hingegen wird in Richtung Netz extrem angewinkelt/vorgespannt.

«2D» Da der Ball mit Seit-Unterschnitt zurückgegeben werden soll erfolgt der Schlag von rechts nach links in einer Viertelkreisbewegung. Der Balltreffpunkt liegt im Süd-Westen und mit Hilfe des Handgelenkeinsatzes wird dem Ball wie beim Bananen-Flip eine gekrümmte Flugkurve gegeben. Auch nach diesem Rückschlag sollte wieder so schnell wie möglich die Ausgangsposition eingenommen werden. Ähnlich wie der Bananen-Flip kann auch dieser Schlag sehr variabel eingesetzt werden und mit seiner gekrümmten Flugkurve, Platzierung auf den Ellenbogen, den Gegner vor ein großes Problem stellen.

Rückhand-Seit-Unterschnitt
Ergänzend zum Bananen-Flip ist der Rückhand-Dirty (der Schlag erhielt seine Namensberechtigung durch einen Spieler im Westerwald) zu nennen. Diese Schlagvariante resultiert aus der normalen Rückhand-Schupf-Bewegung und wird als Rückschlag auf Unterschnitt-Aufschläge angewandt.
…über die Technik
«3A» Zunächst wird die Ausgangsstellung eingenommen, wobei die Füße parallel zum Netz stehen, die Knie leicht gebeugt sind und der Oberkörper eine leichte Vorlage hat.

«3B» In der Ausholphase wird die linke Schulter durch eine Rumpfdrehung zurückgeführt und der Ellenbogen wird angewinkelt. In der Ausholphase wird das rechte Bein nach vorne unter den Tisch geführt und im selben Moment werden die rechte Hüfte sowie die rechte Schulter nach vorne gedreht.

«3C» In der Schlagphase wird ein klassischer Schupf-Ball eher von hinten nach vorne durchgeführt, hingegen verläuft der Schlag beim Rückhand-Dirty von links unten nach rechts oben. Anstatt den Ball wie beim Schupf-Ball am Südpol zu treffen, liegt der Balltreffpunkt beim Rückhand-Dirty an der östlichen Seite zwischen Südpol und Äquator. Nach Ausführung des Schlages sollte so schnell wie möglich wieder die Ausgangstellung und die Neutralposition des Schlägers eingenommen werden.

…über die Taktik
Mit viel Übung lässt sich der Schlag sehr variabel platzieren und dem Gegner wird es erschwert, frühzeitige Handlungsabläufe zu erkennen. Bekannte Spieler sind die beiden Nationalspieler Steffen Mengel und Philipp Floritz, die diesen Schlag sehr effektiv einsetzen.
Zur Sportwissenschaft
Zum Abschluss noch ein paar Worte zum Training. Man spricht in der Sportwissenschaft vom sogenannten Regelkreismodel wo zunächst stabilisiert, dann automatisiert und schlussendlich die variable Verfügbarkeit im Spiel als Ziel dienen soll. Vom bewussten zum unbewussten Handeln spricht man auch in diesem Zusammenhang. Um diese Rückschläge im Spiel variabel einsetzen zu können, erfordert dies angesichts der Komplexität dieser Techniken nichts anderes als viel Training.
Trainingsmethodik
Ein gutes Mittel ist das Balleimertraining, da hier der Trainer immer den Blick auf den Spieler gerichtet hat und zudem die Bälle präzise einspielen kann. Weiterhin sind gerade Spiele im Training eine gute Gelegenheit Schläge wie die Rückhandbanane zu trainieren. Hier ist die Kreativität eines jeden Spielers gefragt. „Learning bei doing und probiering“ lautet die Devise.
Transfer in den Wettkampf
Abschließend gehe ich noch kurz auf die letzte Stufe des Regelkreismodells ein –  die variable Verfügbarkeit im Wettkampf. Genau hier liegt das Problem und die Sorge vieler Spieler. Habe ich den Schlag oft genug trainiert, um ihn bei 9:9 im 5ten Satz bei Aufschlag des Gegners zu spielen? Diese Frage stellen sich mit Sicherheit viele Spieler. Man muss sich über folgende Dinge im Klaren sein.
1. Die Schlagtechniken sind mit Risiko verbunden.
2. Die Schlagtechniken besitzen eine hohe Qualität in Bezug auf Rotation und Einschätzung des Gegners
Das „11:9“-Prinzip
Ich erkläre das den Spielern die ich trainiere immer mit dem „11:9“ Prinzip. Dies bedeutet, dass der Schlag meistens direkt zu einem Punktgewinn führt,  wenn er auf dem Tisch gelandet ist. Würde man theoretisch 20 Schläge dieser Art auf den Tisch spielen, so reichen 11 erfolgreich gespielte Rückschläge aus um den Satz zu gewinnen.  Wenn die Spieler dieses Prinzip verstanden haben, gehen sie mutiger an das Thema Rückschläge heran. Und eine Portion Mut und Kreativität hat noch keinem Tischtennis-Spieler geschadet.
P.S. Dima hat das Spiel gegen Xu Xin durch eine Rückhand-Banane im siebten Satz mit 14:12 gewonnen!
 
Der Autor:
Andreas Greb
B-Lizenz-Trainer und
Sportlehrer
13 Jahre Basisarbeit in Vereinen, Region und Verband
Größte Erfolge: 2 Verbandsmeister herausgebracht